Donnerstag, 24. September 2015

Projekttage - Tanz als Beruf(ung)

Im Rahmen der Projekttage des Angela-Merici-Gymnasiums (20. - 22.07.2015), welche schon seit Jahren auf großen Zuspruch unter den ca. 800 Schülerinnen stoßen, bot sich für 18 Mädchen die einmalige Gelegenheit intensive Einblicke in das Berufs- und Alltagsleben eines Tänzers zu erhalten, ein Gefühl für sein Aufgabenfeld und vielleicht sogar erste Ansätze eines Verständnisses für die besondere Beziehung bzw. Leidenschaft zu seinem Beruf zu entwickeln.

Tanz als Beruf  und / oder Berufung’ war somit der Tenor dieser ereignisreichen Tage, eine Frage jenseits der rein rationalen Ebene.
Am Anfang dieser stand der Besuch einer engagierten freiberuflichen Tänzerin in der Turnhalle des Trierer Gymnasiums. Die bunt zusammengestellte Schülergruppe, bestehend aus Teilnehmern im Alter von 15-19 Jahren, die jedoch alle die selbe Leidenschaft verband,  mutete es erst als befremdlich an, dass sie gleich zu Beginn, nach einer kurzen Vorstellungsrunde, vor die Aufgabe gestellt wurden, jegliche Hemmungen durch bizarre Stimmübungen fallen zu lassen. Hätte man die Gedankengänge jeder Einzelnen als einfache Sprechblasen lesen können, hätte man ihnen wohl die selbe grundlegende Frage entnommen: Inwiefern hat das mit Tanz zu tun? 
Doch diese Frage sollte sie den ganzen weiteren Tag verfolgen und zugleich beantwortet werden. Denn es folgten nicht etwa, wie von den meisten vermutet, neuartige Schrittfolgen mit der Intention am Ende des Tages eine ausgeklügelte Choreographie zu entsprechender Musik zu erhalten, sondern vielmehr differenzierte Improvisationsübungen, die so manch einer mehr der Tanzpädagogik zugeordnet hätte. Dennoch erkannte man, je mehr man sich auf die einzelnen Gruppen bzw. Einzelaufgaben einließ, den jeweiligen Hintergedanken und gelangte zu der Erkenntnis, dass jeder hierbei auf seine ganz persönlichen und individuellen Barrieren stieß und diese zu überwinden versuchte.

Durch jede weitere Übung lernte man einen neuen Blickwinkel auf das Tanzen als Bewegungs- bzw. Ausdrucksform kennen: 
Verdeutlichte die eine Beziehungen und Abhängigkeiten der Tänzer untereinander sowie zum Gesamtbild, was sie in ihrem Metier als Raum bezeichnen, so wurde man sich durch die andere Übung erst der wortlosen Kommunikation im Tanz bewusst.
So werden Tänzer darauf trainiert sogar ohne direkten Blickkontakt eine klare Wahrnehmung ihres gesamten Umfeldes zu behalten, so dass immer eine gewisse Verbundenheit zwischen ihnen und ihren Partnern besteht, welche die Zusammenarbeit erst ermöglicht. Gerade diese Art der Kommunikation bereitete vielen Schülern,  aufgrund der Tatsache, dass in unserem Alltagsleben vor allem verbale Konversation auf  verschiedensten medialen Wegen eine tragende Rolle spielt und eine andere Art kaum existiert, erste Probleme.
Dessen ungeachtet löste die Aufforderung zu spontanem Handeln in vielen zuerst eine Blockade aus. Nach und nach entwickelte man dann das elementare Selbstbewusstsein zur Abgrenzung von der Gruppe und den Mut zum Individuum. Bei all diesen Übungen wurden die genauen Eigenschaften eines leidenschaftlichen Tänzers aber auch die einer harmonierenden Gruppe immer transparenter und definierter: Selbstbewusstsein, Kreativität, Spontanität, Teamfähigkeit, Beobachtungsgabe, Präzision und nicht zuletzt Takt- und Körpergefühl sind wohl die wesentlichsten Merkmale. Und gerade das eben erwähnte Körpergefühl und die damit oft einhergehende Feinmotorik sind keineswegs angeborene Eigenschaften Man entwickelt sie ein Leben lang. Jeder auf seine individuelle Art. Und für manch einen scheinen die damit zusammenhängenden Fragen wie: “Wie schnell ist meine reguläre Atmung”; “Wie beweglich ist eigentlich mein Oberarm” und “Wie wirkt sich seine Bewegung auf den Rest meines Körpers aus?” infantil und sinnlos. Doch ganz in sich und seinen Körper vertieft, abgespalten von jeglichen äußeren Einflüssen, ermöglicht es, wie Elisabeth erklärte und wie die Schülerinnen es selbst erfuhren, eine ganz besondere Art von Tanz: Jene, die nur unserem Herzen Gehör schenkt!

All jene Erfahrungen und neu gewonnen Erkenntnisse sollten gleichzeitig als Vorwissen für den darauf folgenden Besuch der Bananenfabrik, dem choreographischen Zentrum in Luxemburg dienen. Dieser Tag sollte das Blickfeld von der Bewegungs- und Ausdrucksform 
Tanz ansich auf das alltägliche Berufsleben lenken und dem ganzen einen neuen Aspekt hinzufügen.
Dort angekommen stand ihnen den ganzen Tag Herr Baumgartner, Choreograph und Leiter des ChZ, Rede und Antwort. Um ein paar erste Hintergrundinformationen zu geben, machte er zunächst auf die sehr bewegte und schließlich namengebende Geschichte ihres Hauses aufmerksam. So diente das ganze nahe am Bahnhof gelegene Gebäude als Lagerhalle für den beliebten Bananenlieferanten Chiquita, so dass der Hauskomplex im gesamten Wohnbezirk nur als Bananenfabrik bekannt war. Um ein Stück Geschichte zu wahren und die bisher gut gepflegte Beziehung zu ihrem Umfeld in gewisser Weise zu erhalten, benannte man es auch nach der Erschließung des Choreographischen Zentrums, nach langen Überlegungen, wie Baumgartner berichtete, mit diesem Spitznamen.

Als die Schülerinnen, in der Eingangshalle sitzend, die Gelegenheit ergriffen, ihre Blicke umher schweifen zu lassen, wurde ihnen schnell klar, dass das Haus Schauplatz vieler weiterer Ereignisse (Vampirfilme, Kunstaustellungen etc.) gewesen sein musste, die alle ihre Spuren hinterlassen hatten. So arbeitet die heutige Organisation auch weiterhin in Kooperation mit einer Theatergruppe und öffnet damit auch dem Schauspiel die Türen.
Dabei ist oft Kompromissbereitschaft die Devise, wie er lächelnd zugab. 

Als kreatives, inspiratives Zentrum für Tänzer und ihre Choreographen hat man sich insbesondere auf zeitgenössischen Tanz spezialisiert, welcher aus einer langen Stilgeschichte hervorgegangen ist.
Nachdem die Emanzipation der Frau in vollem Gange war und sie sich damit auch von der Strenge des klassischen Balletts und den Spitzenschuhen losgesagt hatten, entwickelte sich nach und nach eine neue Form von Tanz, welche fast unbegrenzte Freiheit mit sich brachte. So meint zeitgenössischer Tanz alle Stile und Facetten, die die Geschichte des Tanzes je erlebt hat, so abstrus sie auch sein mögen. Folglich ist es gar unmöglich eine konkretere Definition zu geben.
Daraus hervorgehend versucht man von dem sogenannten, in seinen Traditionen verwachsenen, klassischen Ballett abzurücken, jedoch ohne es als Ursprung in Vergessenheit geraten lassen und als Basis anzuerkennen. Dieser Gedanke spiegelt sich im morgendlichen Aufwärmen, was gemeinsame Stunden vieler dort unabhängig voneinander arbeitender Tänzer beinhaltet, wider, dessen die Schülerinnen selbst Zeuge sein durften.
Begriffe wie Pikeé, Pas de Bourer und Developeé lösten bei Schülerinnen mit moderner Stilorientierung erste Fragezeichen aus, doch als fast einminütige Schrittfolgen ohne jegliche Wiederholung in das Wortfeld von einfach und Routine fielen, stand jedem die Verblüffung ins Gesicht geschrieben. Wichtiger Grundsatz jedes neuen Tages, so Baumgartner, ist nicht der Drang zur Perfektion und Vollendung, sondern der bloße Versuch über seine eigenen Grenzen hinaus zu gehen und sich neu auszutesten. Dieses Austesten zählt nur zu einer von vielen weiteren Freiheiten, die heutige Tänzer gegenüber ihren Choreographen besitzen.

Wie Herr Baumgartner klarstellte, hat sich die Zusammenarbeit zwischen beiden Instanzen sehr zum positiven hin verändert. Dem Tänzer sind nicht mehr Begriffe wie persönliches Model und Marionette zuzuschreiben, er ist vielmehr in der Rolle eines Visualisten und Mitdenkers zuhause. So zeichnet er sich bei dem jeweiligen Projekt nicht mehr durch die makellose Ausführung dessen, was ihm vorgegeben wird, aus, sondern durch ein stetes Miteinbringen seiner selbst und seines Charakters. Dabei gilt es nicht nur dieses sich ergänzende Nebeneinander als Reformation zu nennen, auch die Herangehensweise an Choreographien hat sich mit dem Wandel der modernen Medien, durch welche sich uns Tag für Tag neue Möglichkeiten eröffnen, verändert.
Beispielsweise wurden Programme entwickelt, welche Bewegungsabläufe aller Art, in Form eines virtuellen Körpers, darstellen können. Dabei steht der Versuch im Mittelpunkt mit Hilfe der Erstellung neuer Figuren das eigentlich physisch Unmögliche auf seine Art möglich zu machen.

All diese faszinierenden und anschaulichen Informationen haben vieles über den Beruf preisgegeben. Doch, um auf die zielführende, emotionale und intuitive Ebene einzugehen, stellten die Schülerinnen die abschließende Frage, inwieweit die (Teil)Überschrift des Projektes ‘Tanz als Berufung’ mit der Realität konform geht.
Die Antwort kam reflexartig, ohne jegliche Bedenkpause. Seiner Meinung nach kommt ein Tänzer schon als Tänzer zur Welt. Er fühlt sich gleich dazu hingezogen und sieht seine Berufung nicht als Sport, sondern als Kunst- und Ausdrucksform. Dann hat er den allesentscheidenden Entschluss zu fassen, folge ich meinem Herzen gegen alle äußeren Erwartungen und Widerstände oder bleibe ich auf der sicheren vernuftgeleiteten Seite?
Denn auch wenn für viele die Vorstellung romantisch ist, kann es, wie so oft, ein sehr brotloser, nervenaufreibender Beruf sein. Ständiges Reisen und Bangen um die nächste Einstellung bei dem erhofften Projekt sind für viele kühler Alltag. So gab ihnen Herr Baumgartner zu verstehen, dass sie sich in ihrer Position bemühen, dass der Staat den Beruf mehr und mehr in seiner Ganzheitlichkeit anerkennt und entsprechend honoriert.
Doch, ganz klar für ihn, seine Mitmenschen, und vermutlich für jeden, der die selbe  Leidenschaft teilt, ist Tanz eine der schönsten und bedeutendsten Ausdrucksformen, welche Sprache, Raum und Zeit überwindet. Eine Ausdrucksform bei der es keine Normen und Richtlinien gibt. Es ist ihr Ventil der Emotionen. Ihre Berufung.

Leah H., 10c

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