Im
Rahmen der Projekttage des Angela-Merici-Gymnasiums (20. -
22.07.2015), welche schon seit Jahren auf großen Zuspruch unter den
ca. 800 Schülerinnen stoßen, bot sich für 18 Mädchen die
einmalige Gelegenheit intensive Einblicke in das Berufs- und
Alltagsleben eines Tänzers zu erhalten, ein Gefühl für sein
Aufgabenfeld und vielleicht sogar erste Ansätze eines Verständnisses
für die besondere Beziehung bzw. Leidenschaft zu seinem Beruf zu
entwickeln.
‘Tanz
als Beruf und / oder Berufung’ war somit der Tenor dieser
ereignisreichen Tage, eine Frage jenseits der rein rationalen Ebene.
Am
Anfang dieser stand der Besuch einer engagierten freiberuflichen
Tänzerin in der Turnhalle des Trierer Gymnasiums. Die bunt
zusammengestellte Schülergruppe, bestehend aus Teilnehmern im Alter
von 15-19 Jahren, die jedoch alle die selbe Leidenschaft verband,
mutete es erst als befremdlich an, dass sie gleich zu Beginn, nach
einer kurzen Vorstellungsrunde, vor die Aufgabe gestellt wurden,
jegliche Hemmungen durch bizarre Stimmübungen fallen zu lassen.
Hätte man die Gedankengänge jeder Einzelnen als einfache
Sprechblasen lesen können, hätte man ihnen wohl die selbe
grundlegende Frage entnommen: Inwiefern hat das mit Tanz zu tun?
Doch
diese Frage sollte sie den ganzen weiteren Tag verfolgen und zugleich
beantwortet werden. Denn es folgten nicht etwa, wie von den meisten
vermutet, neuartige Schrittfolgen mit der Intention am Ende des Tages
eine ausgeklügelte Choreographie zu entsprechender Musik zu
erhalten, sondern vielmehr differenzierte Improvisationsübungen, die
so manch einer mehr der Tanzpädagogik zugeordnet hätte. Dennoch
erkannte man, je mehr man sich auf die einzelnen Gruppen bzw.
Einzelaufgaben einließ, den jeweiligen Hintergedanken und gelangte
zu der Erkenntnis, dass jeder hierbei auf seine ganz persönlichen
und individuellen Barrieren stieß und diese zu überwinden
versuchte.
Durch
jede weitere Übung lernte man einen neuen Blickwinkel auf das Tanzen
als Bewegungs- bzw. Ausdrucksform kennen:
Verdeutlichte
die eine Beziehungen und Abhängigkeiten der Tänzer untereinander
sowie zum Gesamtbild, was sie in ihrem Metier als Raum bezeichnen, so
wurde man sich durch die andere Übung erst der wortlosen
Kommunikation im Tanz bewusst.
So
werden Tänzer darauf trainiert sogar ohne direkten Blickkontakt eine
klare Wahrnehmung ihres gesamten Umfeldes zu behalten, so dass immer
eine gewisse Verbundenheit zwischen ihnen und ihren Partnern besteht,
welche die Zusammenarbeit erst ermöglicht. Gerade diese Art der
Kommunikation bereitete vielen Schülern, aufgrund der
Tatsache, dass in unserem Alltagsleben vor allem verbale Konversation
auf verschiedensten medialen Wegen eine tragende Rolle spielt
und eine andere Art kaum existiert, erste Probleme.
Dessen
ungeachtet löste die Aufforderung zu spontanem Handeln in vielen
zuerst eine Blockade aus. Nach und nach entwickelte man dann das
elementare Selbstbewusstsein zur Abgrenzung von der Gruppe und den
Mut zum Individuum. Bei all diesen Übungen wurden die genauen
Eigenschaften eines leidenschaftlichen Tänzers aber auch die einer
harmonierenden Gruppe immer transparenter und definierter:
Selbstbewusstsein, Kreativität, Spontanität, Teamfähigkeit,
Beobachtungsgabe, Präzision und nicht zuletzt Takt- und Körpergefühl
sind wohl die wesentlichsten Merkmale. Und gerade das eben erwähnte
Körpergefühl und die damit oft einhergehende Feinmotorik sind
keineswegs angeborene Eigenschaften Man entwickelt sie ein Leben
lang. Jeder auf seine individuelle Art. Und für manch einen scheinen
die damit zusammenhängenden Fragen wie: “Wie schnell ist meine
reguläre Atmung”; “Wie beweglich ist eigentlich mein Oberarm”
und “Wie wirkt sich seine Bewegung auf den Rest meines Körpers
aus?” infantil und sinnlos. Doch ganz in sich und seinen Körper
vertieft, abgespalten von jeglichen äußeren Einflüssen, ermöglicht
es, wie Elisabeth erklärte und wie die Schülerinnen es selbst
erfuhren, eine ganz besondere Art von Tanz: Jene, die nur unserem
Herzen Gehör schenkt!
All
jene Erfahrungen und neu gewonnen Erkenntnisse sollten gleichzeitig
als Vorwissen für den darauf folgenden Besuch der Bananenfabrik, dem
choreographischen Zentrum in Luxemburg dienen. Dieser Tag sollte das
Blickfeld von der Bewegungs- und Ausdrucksform
Tanz
ansich auf das alltägliche Berufsleben lenken und dem ganzen einen
neuen Aspekt hinzufügen.
Dort
angekommen stand ihnen den ganzen Tag Herr Baumgartner, Choreograph
und Leiter des ChZ, Rede und Antwort. Um ein paar erste
Hintergrundinformationen zu geben, machte er zunächst auf die sehr
bewegte und schließlich namengebende Geschichte ihres Hauses
aufmerksam. So diente das ganze nahe am Bahnhof gelegene Gebäude als
Lagerhalle für den beliebten Bananenlieferanten Chiquita, so dass
der Hauskomplex im gesamten Wohnbezirk nur als Bananenfabrik bekannt
war. Um ein Stück Geschichte zu wahren und die bisher gut gepflegte
Beziehung zu ihrem Umfeld in gewisser Weise zu erhalten, benannte man
es auch nach der Erschließung des Choreographischen Zentrums, nach
langen Überlegungen, wie Baumgartner berichtete, mit diesem
Spitznamen.
Als
die Schülerinnen, in der Eingangshalle sitzend, die Gelegenheit
ergriffen, ihre Blicke umher schweifen zu lassen, wurde ihnen schnell
klar, dass das Haus Schauplatz vieler weiterer Ereignisse
(Vampirfilme, Kunstaustellungen etc.) gewesen sein musste, die alle
ihre Spuren hinterlassen hatten. So arbeitet die heutige Organisation
auch weiterhin in Kooperation mit einer Theatergruppe und öffnet
damit auch dem Schauspiel die Türen.
Dabei
ist oft Kompromissbereitschaft die Devise, wie er lächelnd zugab.
Als
kreatives, inspiratives Zentrum für Tänzer und ihre Choreographen
hat man sich insbesondere auf zeitgenössischen Tanz spezialisiert,
welcher aus einer langen Stilgeschichte hervorgegangen ist.
Nachdem
die Emanzipation der Frau in vollem Gange war und sie sich damit auch
von der Strenge des klassischen Balletts und den Spitzenschuhen
losgesagt hatten, entwickelte sich nach und nach eine neue Form von
Tanz, welche fast unbegrenzte Freiheit mit sich brachte. So meint
zeitgenössischer Tanz alle Stile und Facetten, die die Geschichte
des Tanzes je erlebt hat, so abstrus sie auch sein mögen. Folglich
ist es gar unmöglich eine konkretere Definition zu geben.
Daraus
hervorgehend versucht man von dem sogenannten, in seinen Traditionen
verwachsenen, klassischen Ballett abzurücken, jedoch ohne es als
Ursprung in Vergessenheit geraten lassen und als Basis anzuerkennen.
Dieser Gedanke spiegelt sich im morgendlichen Aufwärmen, was
gemeinsame Stunden vieler dort unabhängig voneinander arbeitender
Tänzer beinhaltet, wider, dessen die Schülerinnen selbst Zeuge sein
durften.
Begriffe
wie Pikeé, Pas de Bourer und Developeé lösten bei Schülerinnen
mit moderner Stilorientierung erste Fragezeichen aus, doch als fast
einminütige Schrittfolgen ohne jegliche Wiederholung in das Wortfeld
von einfach und Routine fielen, stand jedem die Verblüffung ins
Gesicht geschrieben. Wichtiger Grundsatz jedes neuen Tages, so
Baumgartner, ist nicht der Drang zur Perfektion und Vollendung,
sondern der bloße Versuch über seine eigenen Grenzen hinaus zu
gehen und sich neu auszutesten. Dieses Austesten zählt nur zu einer
von vielen weiteren Freiheiten, die heutige Tänzer gegenüber ihren
Choreographen besitzen.
Wie Herr Baumgartner klarstellte, hat sich die Zusammenarbeit zwischen beiden Instanzen
sehr zum positiven hin verändert. Dem Tänzer sind nicht mehr
Begriffe wie persönliches Model und Marionette zuzuschreiben, er ist
vielmehr in der Rolle eines Visualisten und Mitdenkers zuhause. So
zeichnet er sich bei dem jeweiligen Projekt nicht mehr durch die
makellose Ausführung dessen, was ihm vorgegeben wird, aus, sondern
durch ein stetes Miteinbringen seiner selbst und seines Charakters.
Dabei gilt es nicht nur dieses sich ergänzende Nebeneinander als
Reformation zu nennen, auch die Herangehensweise an Choreographien
hat sich mit dem Wandel der modernen Medien, durch welche sich uns
Tag für Tag neue Möglichkeiten eröffnen, verändert.
Beispielsweise
wurden Programme entwickelt, welche Bewegungsabläufe aller Art, in
Form eines virtuellen Körpers, darstellen können. Dabei steht der
Versuch im Mittelpunkt mit Hilfe der Erstellung neuer Figuren das
eigentlich physisch Unmögliche auf seine Art möglich zu machen.
All
diese faszinierenden und anschaulichen Informationen haben vieles
über den Beruf preisgegeben. Doch, um auf die zielführende,
emotionale und intuitive Ebene einzugehen, stellten die Schülerinnen
die abschließende Frage, inwieweit die (Teil)Überschrift des
Projektes ‘Tanz als Berufung’ mit der Realität konform geht.
Die
Antwort kam reflexartig, ohne jegliche Bedenkpause. Seiner Meinung
nach kommt ein Tänzer schon als Tänzer zur Welt. Er fühlt sich
gleich dazu hingezogen und sieht seine Berufung nicht als Sport,
sondern als Kunst- und Ausdrucksform. Dann hat er den
allesentscheidenden Entschluss zu fassen, folge ich meinem Herzen
gegen alle äußeren Erwartungen und Widerstände oder bleibe ich auf
der sicheren vernuftgeleiteten Seite?
Denn
auch wenn für viele die Vorstellung romantisch ist, kann es, wie so
oft, ein sehr brotloser, nervenaufreibender Beruf sein. Ständiges
Reisen und Bangen um die nächste Einstellung bei dem erhofften
Projekt sind für viele kühler Alltag. So gab ihnen Herr Baumgartner zu verstehen,
dass sie sich in ihrer Position bemühen, dass der Staat den Beruf
mehr und mehr in seiner Ganzheitlichkeit anerkennt und entsprechend
honoriert.
Doch,
ganz klar für ihn, seine Mitmenschen, und vermutlich für jeden, der
die selbe Leidenschaft teilt, ist Tanz eine der schönsten und
bedeutendsten Ausdrucksformen, welche Sprache, Raum und Zeit
überwindet. Eine Ausdrucksform bei der es keine Normen und
Richtlinien gibt. Es ist ihr Ventil der Emotionen. Ihre Berufung.
Leah
H., 10c